Ich gebe zu, wenn ich derzeit einen Blick auf die Nachrichten werfe, verzweifele ich oft. Ich frage mich, ob die Menschheit endgültig übergeschnappt ist. Dinge, die ich in meinem (zugegeben privilegierten) Leben lange als gegeben erwarten konnte, werden in Frage gestellt. Die demokratische Grundordnung in Deutschland etwa, wenn „normale“ Parteien sich ernsthaft Gedanken darüber machen, ob und, wenn ja, wie sie mit Faschisten kooperieren können. Weltweit müssen wir zusehen, wie die Menschheit vor der größten Aufgabe der heutigen Zeit, dem menschengemachten Klimawandel, mit allen ökologischen, sozialen und politischen Folgen, zu versagen scheint.
Teile der politische Kaste, die lange die angebliche Gleichgültigkeit der jüngeren Generationen beklagte, machen das Engagement von Kindern und Jugendlichen verächtlich, behandeln sie mit Herablassung, oder halten es gar für nötig, sich an einer Teenagerin aus Schweden abzuarbeiten, anstatt einmal zuzuhören (wirklich zuzuhören!), was sie zu sagen hat.
Ist tatsächlich alles schlimmer geworden, als „früher“? Dreht die Welt sich schneller, oder bin ich mit zunehmendem Alter einfach langsamer geworden und verstehe die Welt nicht mehr, in der ich lebe? Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Ich weiß nur, dass wegschauen keine Lösung ist. Ständiges Hinschauen aber ertrage ich ebenso wenig.
Als ich, zusammen mit den „Saarphantasten“, einem losen Zusammenschluss von Phantastik-Autor*innen aus meiner saarländischen Heimat, letztes Jahr in der Stadtbücherei in St. Ingbert eine gemeinsame Lesung hatte, schlossen wir den Abend mit folgenden Worten. Ich möchte sie an dieser Stelle noch einmal wiedergeben. Mir hilft der Grundgedanke, der darin steckt, und vielleicht geht es Euch ähnlich.

Der Phantastischen Literatur wird oft vorgeworfen, sie sei nur eine Flucht vor der Realität, also reiner Eskapismus.
J.R.R. Tolkien sagte dazu, die Einzigen, die Angst vor Eskapismus hätten, seien die Gefängniswärter.
Michael Moorcock, ebenfalls Fantasyautor und bekennender Tolkien-Kritiker, erwiderte: Wärter fürchten nicht den Eskapismus, sondern den Ausbruch.
Wir glauben, beide hatten Recht. Wenn wir Euch heute Abend etwas Erholung von der Welt da draußen verschaffen konnten, haben wir unser wichtigstes Ziel erreicht. Doch wir würden uns freuen, wenn ihr die gewonnene Energie nutztet, um auszubrechen. Auszubrechen aus dem Trott, in dem es scheint, als könne der Einzelne nichts ändern, weder an der eigenen Situation, noch an der Welt um uns herum.
Die Phantastik inspiriert uns, uns andere Welten zu erdenken, und die Realität nicht als unveränderbar hinzunehmen.
Wenn ihr also morgen, hoffentlich etwas erholter, aufsteht, überlegt Euch, was ihr ändern könntet: Seid ohne Grund nett zu einem Fremden. Widersprecht, wenn Andere—bewusst oder unbewusst—Hass und Angst in unserer Gesellschaft schüren. Oder stellt Euch an die Seite der für den Klimaschutz streikenden Schülerinnen und Schüler.
Was auch immer, lasst Euch nicht sofort wieder vom Trott der Realität unterkriegen.

Saarphantasten, st.ingbert, 2019